Museum Ostwall im Dortmunder U

Ohne Titel (Stahltisch)

Anatol Herzfeld

1969

Stahltisch
Erworben aus der Sammlung Feelisch

Das Relikt der Aktion „Drama Tisch“ gehört zu den zentralen Werken des MO_Sammlungsschwerpunktes „Fluxus und verwandte Kunstformen“. Es greift ein bis heute brennendes politisches Thema auf: Das Spannungsfeld zwischen Meinungsfreiheit und Zensur. Verbindungen zwischen Kunst und Alltag zu ziehen, zur Auseinandersetzung über gesellschaftsrelevante Fragen anzuregen und „lebende Kunst zu fördern“, wie es im Fluxus-Manifest von 1963 heißt, gehört zum Selbstverständnis des MO als Ort des Austauschs mit und über Kunst.

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Schnelle Trollies

Dieter Roth

1972
31,5 x 57 cm
Offsetdruck auf perforiertem und gummiertem Papier
Erworben aus der Sammlung Cremer 1997

Auch wenn der Reifen nicht vom Fleck kommt: Sailstorfers Installation lässt uns an PS-starke Autos denken, die bei einem rasanten U-Turn oder einer Vollbremsung Reifenspuren auf dem Asphalt hinterlassen. Der Briefmarkenbogen Schnelle Zwerge von Dieter Roth zeigt scheinbar gleich ein ganzes Autorennen: Auf jeder der in unterschiedlichen Farben gestalteten Marken sitzen zwei schemenhaft zu erkennende Figuren in einem Rennwagen mit übergroßen Rädern. Die einander überschneidenden Formen, die unterschiedliche Farbgebung der einzelnen Bilder und die enge Reihung von insgesamt 60 Stück lässt den Bogen vor unseren Augen flimmern und erzeugt ein Gefühl von Dynamik und Schnelligkeit. Würde man die Marken einzeln auf Briefe kleben, könnten die Schnellen Zwerge „hinausfahren“ in die Welt.

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Das DAX-Gebirge (1988 bis 2012), 2013 u. Das DAX-Gebirge (Januar bis Juni 2013)

Barbara Hlali

2013
52,8 x 72,6 x 2,7 cm / 52,7 x 37,7 x 2,7 cm
je Bleistift und Tinte auf Papier, in Holzrahmen, verglast
Beide erworben von Barbara Hlali am 07.03.2014

Gabriele Münters Gemälde zeigt ein natürlich entstandenes Bergmassiv. Barbara Hlalis DAX-Gebirge bilden hingegen ein menschengemachtes Phänomen ab: den Deutschen Aktienindex, der die Wertentwicklung der 40 größten deutschen Aktiengesellschaften misst. Jahresübersichten von 1988 bis 2012 und eine Halbjahresübersicht des Jahres 2013 zeigen, einigen Einbrüchen zum Trotz, stetiges Wachstum. Durch Überzeichnung entstehen aus den Grafiken unüberwindliche Berglandschaften. Wirtschaftswachstum zu fördern, galt lange als Leitlinie „guter Politik“; heutige „Degrowth“-Konzepte setzen hingegen auf Werte wie Solidarität und ökologisches Handeln. Hlali fragt: Garantiert das Festhalten am Wachstumsprinzip tatsächlich ein gutes Leben für alle – oder manövrieren wir uns in eine Sackgasse, aus der wir nur schwer herausfinden werden?

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Sphärisches Objekt

Adolph Luther

1972
59,5 x 84,3 x 9,5 cm
Plexiglaskasten, Spiegelglas, Glas, Tischlerplatte
Eerworben aus der Sammlung Cremer mit einer Förderung durch das Land NRW am 08.12.1994

In Sonniers Tunnel of Tears werden die Betrachtenden Teil des Kunstwerks, indem sie hindurch gehen. 30 Jahre zuvor experimentierte der Lichtkünstler Adolph Luther mit Op Art, die ebenfalls aktive Betrachtende fordert. Um die Wirkung seines Sphärischen Objekts zu erleben, müssen wir uns vor ihm durch den Raum bewegen. Acht konkav gewölbte Spiegelflächen reflektieren uns und den umgebenden Raum, drehen ihn und uns auf den Kopf und fächern die Reflexionen wie in einem Prisma auf. Wir sehen uns vervielfacht in einem optischen Raum, der mit den realen räumlichen Gegebenheiten nur schwer in Übereinstimmung zu bringen ist. Wir werden nicht nur zum Teil des Werks, sondern können dieses durch Bewegungen immer wieder verändern und damit neu erschaffen. Während Sonnier auf die Wirkung der Farbe setzt, gestaltet Luther sein Werk allein mit Licht.

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Ekstatische Feuerblume

Otto Piene

1967
95,5 x 68 cm
Rauch-Gouache auf Karton
Schenkung von Otto Piene am 18.12.1967

Emil Schumachers Pinatubo zeigt die zerstörerische, alles Leben vernichtende Kraft des Feuers. Otto Piene hingegen nutzt das Feuer als Werkzeug, um eine blühende Blume zu Papier zu bringen. Piene war Mitbegründer der Künstlergruppe ZERO und experimentierte in den 1950er Jahren mit Licht: Es entstanden Lichtplastiken oder Installationen wie The Proliferation of the Sun, die mit Diaprojektoren eine Reise zur Sonne inszenierte. Die ZERO-Bewegung grenzte sich von informellen Künstlern wie Schumacher ab, deren Kunst ihnen zu sehr von den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges geprägt zu sein schien. Zero war der Zukunft zugewandt. Vom Licht gelangte Piene zum Feuer: Er zündete Farbe auf seinen Bildern an und lernte, mit Rauch und Feuer zu malen. So entstand diese mit positiver Energie geladene Ekstatische Feuerblume.

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Un metro cubo di infinito (Ein Kubikmeter Unendlichkeit)

Michelangelo Pistoletto

1966
120 x 120 x 120 cm
sechs verschnürte, nach innen weisende Spiegel
Schenkung von Michealangelo Pistoletto am 01.04.1967

Um Gianni Colombos Zoom Squares zu erleben, muss man sich in das Kunstwerk hineinbegeben. Michelangelo Pistolettos Werk entsteht hingegen im Kopf der Betrachtenden. Un metro cubo di infinito besteht aus zu einem Würfel verbundenen Spiegeln, deren Spiegelflächen nach innen zeigen. Auch Pistoletto schafft hier einen dynamischen Raum, denn durch die sich gegenseitig reflektierenden Spiegel dehnt sich das Innere des Würfels – theoretisch – ins Unendliche aus. Allerdings bleibt dieser „Kubikmeter Unendlichkeit“ unsichtbar, denn man kann nicht in den Würfel hineinschauen. Während Colombo einen Raum mit Licht erschafft, schließt Pistoletto das Licht in diesem Raum gänzlich aus. So erschaffen wir als Betrachtenden das eigentliche Kunstwerk mit unserer Imagination: Wir müssen uns „einen Kubikmeter Unendlichkeit“ vorstellen.

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Kohl Venus von Bochum

Al Hansen

1965/71
61 x 30,5 x 1,5 cm
Erworben aus der Sammlung Cremer am 07.12.1998

Meyers Skulptur Red Heels widmet sich einem Schuh, der stark mit Bedeutung aufgeladen ist: In der westlichen Popkultur des 20. Jahrhunderts genießen High Heels den Status eines Fetischs und werden traditionell mit Weiblichkeit und Sexyness assoziiert. Auch Al Hansens Kohl Venus von Bochum zitiert traditionelle (oder besser: tradierte) Vorstellungen von Weiblichkeit und Erotik. Hansens Venus-Bilder sind oft sexuell aufgeladen oder deuten erotische Geschichten an, wie diese aus Schokoladenpapieren der Firma Hershey collagierte, die Wortfetzen wie „hey“, „her“, „he“, „she“, „cool“, „sh“, „yes, „no“ oder „smil[e]“ enthält. Die Verbindung eines Frauenkörpers mit Schokolade, einer als sinnlich geltenden Süßigkeit, erinnert an die Redewendung „jemanden vernaschen“ und offenbart einen objektivierenden „männlichen Blick“ auf Weiblichkeit.

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Pieta

Ina Barfuss

1983
200 x 310 cm
Kunstharz auf Leinwand
Erworben von Ina Barfuss am 05.03.1986

Werner Gilles reflektiert die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und verweist mit der Figur des Orpheus auf einen antiken Mythos. Ina Barfuss bezieht sich hingegen auf die christliche Mythologie: Als Pietà bezeichnet man Darstellungen der Heiligen Maria mit ihrem toten Sohn Jesus Christus auf dem Schoß. Ina Barfuss Pietà ist verstörend: Eine menschliche Figur wird von den Gliedmaßen einer anderen, abstrakteren durchbohrt; aus ihrem Schoß wächst, wie ein riesiger Penis, ein Säbel, der den Kopf eines nackten Jungen durchbohrt, der von einer Figur mit verbundenen Augen im Arm gehalten wird. Auch in diesem Bild tun Menschen einander Gewalt an, aber die Rollenverteilung ist unklar: Ist die linke Figur links Täter oder Opfer, die rechte Beschützende oder Wegsehende? Wer die Verantwortung für die Grausamkeiten trägt, bleibt offen.

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Die Welt im Wohnzimmer 


Timm Ulrichs

2008
51,7 × 51,6 cm
Serie aus 50 Farbfotografien auf Kunst-Stoff (Polystyrol), 1mm starkkaschiert in weiß lasiertem Holzrahmen
Erworben von Timm Ulrichs am 21.01.2021

Ueckers benagelte Fernsehgeräte kritisieren die Wirkungsweise eines populären Massenmediums, das den Zuschauer:innen den Platz passiver Informationsempfänger:innen zuweist. Timm Ulrichs hingegen interessiert, wie Menschen ‚die Welt da draußen‘ in ihr Privatleben integrieren. In seiner 50-teiligen Fotoserie dokumentiert er „Fernsehgerät[e] als Sockel und Hausaltar“, die er in einem slowenischen Altersheim vorfand. Seine Bilder zeigen, wie weltpolitische Ereignisse, inszenierte Geschichten oder geschönte Alltagserzählungen auf das reale Leben der Bewohner:innen treffen: Erinnerungsfotos, Familienportraits, Reisesouvenirs, religiöse Bilder und Figuren oder Blumenarrangements ermöglichen intime Einblicke in die private Welt der Fernsehzuschauer:innen.

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Facing the World

Freya Hattenberger

2009
Jeweils 53 x 41,2 x 5 cm
Zwei Lambda-Prints jeweils montiert in Plexiglas-Schaukasten
Erworben von Freya Hattenberger im Januar 2011

Lehmbrucks Große Sinnende zeigt das idealtypische Bild einer nachdenklichen, in sich gekehrten Frau. Freya Hattenbergers Fotoarbeit ist das exakte Gegenteil: In ihrem Selbstportrait schaut sie nicht nach innen, sondern bietet der Welt die Stirn. Sie schreibt: „Die Welt, die große Unbekannte, da draußen … In dieser zweiteiligen Fotoarbeit nehme ich Kontakt mit ihr auf, und zwar mit Hilfe sämtlicher ‚audio-visueller Sinnesprothesen‘, die mir in unmittelbarer Reichweite standen.“ Voller Tatendrang wird sie auf der Suche nach dem perfekten Motiv fast übermütig: „Behängt und ausgerüstet mit insgesamt 23,56 kg Technik am Leib schaffte ich es drei Stockwerke tief und kam unbeschadet bis zur Bordsteinkante. Dann wurde mir schwarz vor Augen …“ Die Erkundung der Welt ist eben auch heute noch ein Wagnis …

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Meta-Matic-Zeichnung, diverse von 1959/1960

Jean Tinguely

1998
29,8 x 21 cm
Tuschestift auf Papier
Erworben aus der Sammlung Cremer am 07.12.1998

Sind K.O. Götz‘ Jonction II und Jean Tinguelys Meta-Matic-Zeichnungen miteinander verwandt? Nun, Tinguelys Meta-Matics entstanden als ironischer Kommentar zur gestischen Malerei und zum Informel der 1950er Jahre, einer Kunst-Strömung, die K.O. Götz mitbegründet hatte. Tinguely belächelte den Geniekult, der die Geste des Künstlers mit Bedeutung auflud und als Ausdruck seiner Persönlichkeit feierte. Tinguely konterte mit Maschinen, die laut, lebensnah und zuweilen lustig waren. Seine von Mal-Maschinen – „Meta-Matics“ – erstellten Zeichnungen sollten zeigen, dass die Kunst sehr gut ohne Künstlergenies auskommt. In seinen Ausstellungen durften die Maschinen sogar von Besuchenden bedient werden. So konnte – mit technischer Unterstützung von Tinguelys scheppernden Apparaten – jede:r zum Künstler, zur Künstlerin werden.